Das Glück – auch eine Frage der Perspektive
Keine Angst, ich habe nicht das Genre gewechselt! Ich werde Ihnen nicht erzählen, wie Sie glücklich, reich und schön bis an Ihr Lebensende werden.
Aber ich habe in der letzten Zeit immer wieder Aussagen gehört oder gelesen, bei denen ich dann doch stutzte. Wir Deutsche werden als glücklich, in uns ruhend und zufrieden wahrgenommen! Von wem? Das verrate ich Ihnen in diesem Newsletterbeitrag.
„You Germans don’t look happy”
Ich gehöre zu der Generation, die im Nachkriegsdeutschland unter amerikanischem Einfluss aufwuchs. Dazu zählten amerikanische Filme und Musik, der Mythos der unbegrenzten Freiheit, des American way of life. Im Vergleich zu den USA empfanden wir uns in vieler Hinsicht unter-entwickelt. Wir aßen damals noch keine Fleischbuletten in matschigen Brötchen und tranken den Kaffee noch aus Tassen. Und in Bezug auf unsere Lebenseinstellung, las und hörte ich immer wieder: „You Germans don’t look happy!“
Denn Amerikaner, die waren happy und optimistisch. Deren Glas war immer halb voll. Unseres hingegen halb leer. Auch unsere europäischen Nachbarn bescheinigten uns mehrheitlich, das Leben zu schwer zu nehmen. Die „German Angst“ fand sogar einen Platz im englischen Wortschatz. Zu ernst, zu unglücklich, zu verklemmt. So bemühten wir uns um ein besseres Image. Wir konsumierten die mediterrane Leichtigkeit in griechischen Lokalen, kauften uns italienische Schuhe und fanden alle Südeuropäer so nett. Uns fand keiner nett. Unser Bild im Ausland wurde gleichgesetzt mit den Komasäufern am Ballermann in Mallorca.
Neue Töne – aus Fernost
Und nun völlig neue Töne! Die kommen – wie zurzeit vieles – aus Fernost. Dort schaut man auch auf Deutschland, allerdings aus einem völlig anderen Blickwinkel. Kai Strittmatter, der Chinakorrespondent der Süddeutschen Zeitung, berichtete in einem Beitrag am 11. 4. 2014, dass die überwiegende Zahl der reichen oder gutverdienenden Chinesen ihr Land verlassen möchten. Gründe sind die verpestete Luft, das vergiftete Essen und das Gefühl, nichts sei sicher. Es sind keine Armutsflüchtlinge, sondern der Teil der Bevölkerung in China, dem es am besten geht. „Wir haben ein Auto, eine Wohnung, einen guten Job. Und doch machen wir uns ständig Sorgen.“, wird der Mitarbeiter einer Staatsbank zitiert. Der ist bereits viel gereist, auch nach Deutschland. „Die Deutschen, die ich traf, wirkten meist so zufrieden und glücklich. Wir Chinesen sind immer bedrückt“.
Die Deutschen strahlen Ruhe und Zufriedenheit aus
Reiben Sie sich bereits verwundert die Augen? Brachte die weltwirtschaftliche Machtverschiebung von der Wall Street zur Great Wall auch eine veränderte Sicht auf uns Deutsche? Es scheint so zu sein. Denn in dem Bericht geht es weiter. „In Europa ist das doch nicht so verrückt mit der Jagd nach dem Geld wie hier, oder?“, fragte eine Chinesin den deutschen Reporter. „Ihr denkt auch noch an andere Sachen außer Profit, habe ich Recht?“
In einem SZ Magazin vom April 2014 erzählt man von den Erfahrungen einer chinesischen Reisegruppe in Deutschland. „In China fragt sich doch jeder: Wie viel verdient mein Nachbar? Welche Beziehungen hat er? In Deutschland strahlen die Menschen Ruhe aus. Hier sieht sogar der Bahnschaffner zufrieden aus.“
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie wir sind“
Wie wir wissen gibt es keine objektive Realität, sondern unsere Sicht der Dinge schafft unsere Wirklichkeit. Deshalb finde ich es interessant, wie wir aus unterschiedlichen Augen wahrgenommen werden.
Noch einmal: für Chinesen wirken wir zufrieden und glücklich. Und das können wir ja auch sein. Wenn wir den Wasserhahn aufdrehen, fließt sauberes Trinkwasser. Wir protestieren und demonstrieren, ohne verhaftet zu werden. Unsere Kinder können draußen spielen, ohne eine Atemmaske zu tragen. Und unser soziales Netz schützt uns in vielerlei Hinsicht. Wir müssen weder Erdbeben noch Hurrikans fürchten.
Luxus kann träge machen
All das jedoch bringt Chinesen auch zum Nachdenken. „Wenn einem das Leben so einfach und gemütlich gemacht wird, wie bei euch – wo soll denn da der Ehrgeiz herkommen, die Wünsche, die Träume?“
Sie merken: sollten wir immer noch die Bedenkenträger Europas sein und von der German Angst getrieben werden, so haben wir auch in diesem Bereich starke Konkurrenz in Fernost bekommen.
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